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Selbstgrausamer Einzelgänger mit dem Turm von Písek und dem Montparnass hinter dem Fenster

Richard Weiner

In Písek gebürtig, lange in Paris lebend, vom ursprünglichen Beruf Chemiker, der Herkunft nach Jude, sprachlich und gedanklich ein Tscheche, geistig nicht einzureihen. Ein regelmäßig für „Lidové noviny“ schreibender Journalist, ein Gelegenheitsübersetzer französischer Prosa, ein hervorragender Prosaiker und vor allem einer der bedeutendsten tschechischen Dichter des 20. Jahrhunderts. Mit den Übersetzungen verbesserte er seine finanzielle Situation und machte zugleich in Böhmen auf anregende Auswüchse des französischen Geistes aufmerksam. Die Journalistenarbeit bedeutete für ihn dasselbe, wie für andere ein Tagebuch, er sammelte dadurch Material in seinen schöpferischen Speicher. Die Prosa ist in seinem Werk das, was für eine Polyphonie basso continuo darstellt: eine ordentliche Besichtigung der Zustände, in die ihn der Weg der Poesie brachte. Und die Poesie? Sie erklingt hier mit Umstürzen, scheinbar „lächelnder Entsagung“, mit röchelndem Suchen, schrecklichem Heulen und letztendlich: mit Schönheit.

Im Jahrzehnt, das vom Ersten Weltkrieg ausgesaugt wurde, neigte er zum expressionistischen Wahrnehmen, zum „bösen Marionettenspiel“. Seine bildkünstlerischen Interessen brachten damals die förmlichen Analogien des Kubismus in seine Prosawerke. An der Wende von den 20er zu den 30er Jahren näherte er sich kurz der französischen simplistischen Gruppe Le Grand Jeu. Sein Werk kann aber durch keine -ismen erklärt werden. Wenn wir sie z.B. mit Weiners direkter, seine persönlichen Gründe erschütternder Erfahrung vom Treffen mit einem Doppelgänger konfrontieren, sind alle kurz, eng, seicht und in der Konsequenz nichtig.

Seine Hand war weich wie ein Federflügel eines Engels, und wahrscheinlich deswegen flüchtete sie immer wieder quälend sowohl vor den einfachsten menschlichen Beziehungen als auch vor den literarisch-theoretischen Interpretationen. „Ein scheues und samtenes Wesen“ (wie ihn František Halas nannte), „Ahasver von Montparnass“ (nach Gustav Winter), „Richard der Geheimnisvolle, Richard Löwenherz“ (das sagte an seinem Grab Otokar Fischer). Alle diese Beinamen näherten sich nur einer weniger entstellenden Substanz des „Steines namens Weiner“. Sie erreichten sie aber nicht.

Zu einer späten Stunde im November 1928 spielten sich in einer leicht betrunkenen Gesellschaft im berühmten Pariser Café „De deux magots“ Szenen voll von Ohrfeigen, Tränen, Küssen und intimen Berührungen ab. Und gerade in dieser Kulisse prophezeite die vom Alkohol müde Marija Vasiljeva, eine russische Puppenspielerin und Okkultistin, aus Weiners Hand. Die ersten Worte waren: „Vous etes éternelle lutte avec vous-meme.“ Ein selbstgrausamer Streitsüchtiger bis in alle Ewigkeit. Das traf genau zu.

Auswahlbibliographie von Richard Weiner:
Pták, 1913
Usměvavé odříkání, 1914
Lítice, 1916 (1928)
Netečný divák a jiné prózy, 1917
Rozcestí, 1918
Škleb, 1919
Třásničky dějinných dnů, 1919
Mnoho nocí, 1928
Zátiší s kulichem, herbářem a kostkami, 1929
Lazebník, 1929
Mezopotámie, 1930
Hra doopravdy, 1933

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