Dreierlei Blut in einzigen
Adern Johannes Urzidil
Urzidil
ist ein weiterer deutscher Böhmerwaldliebhaber aus Prag. Ein Deutscher nach der Sprache,
die er für sein Werk wählte. Der deutsch-tschechisch bilinguale Sohn des deutschen
Vaters und der jüdischen Mutter, nach deren Tod der Vater als Stiefmutter eine Tschechin
aus Nymburk/Nimburg brachte, verband in seiner Kindheit das tragisch zerspaltene Land. Er
befreundete sich mit vielen Vertretern beider Sprachkulturen, von der deutschen mit Franz
Werfel, Max Brod und Egon Erwin Kisch, von der tschechischen mit den Brüdern Èapek und
Jan Zrzavý. Er heiratete die Tochter des Prager Rabbi. Nach Hitlers Machtergreifung
verließ er das Sekretariat der deutschen Botschaft, und die Sommermonate verbrachte er
dann jedes Jahr im damaligen Josefodol/Josefsthal bei Zadní Zvonková/Glöckelberg. In
den stillen Böhmerwalder Winkel ging er, „damit er hier Hamsuns >>stille
Tiefe<< und Stifters >>sanftes Gesetz<< suchte“ (Jan Mare¹), nach
Prag kehrte er wie zu einer alten Geliebten und zu intellektuellen Kontakten zurück. Die
literarischen Freunde aus der Stadt lud er in den Böhmerwald zu Gast ein; man spricht
sogar über den literarischen „Josefsthal-Kreis“ (zu ihm gehören Willy Haas, Emil
Utitz, Hugo Steiner und andere).
Mit 30 wurde er
zum aktiven Mitglied der Prager Freimaurerloge Harmonie, wo er bald einen wichtigen Posten
erreichte. Er fühlte sich sowohl in einer Großstadt als auch in Wäldern zu Hause. Er
schrieb hier Prosa, Essays und Gedichte. Er brachte hierher auch seine typischen Prager
Aufgaben, was ihm keine Schwierigkeiten bereitete. Im Auftrag des tschechoslowakischen
Außenministeriums übersetzte er hier z.B. Masaryk oder Bøezina. 1939 mußte er ins
amerikanische Exil flüchten, er kam nie mehr nach Hause. Es war übrigens bald nicht
mehrzu finden, denn die tschechoslowakische Armee machte Glöckenberg zwischen 1952-1953
dem Erdboden gleich.
„Ich bin
oft auf dem breiten Rücken des Hochficht zum Stingelfelsen hinaufgeklommen, einer Stelle,
deren Stifter-Atmosphäre zu den dichtesten des Böhmerwaldes gehört. Auch Albrecht
Altdorfer hätte sich dort daheim auf der Steinkanzel zwischen den hochgezückten,
zerzausten, dem Wind hingegebenen Fichten. Man erreichte diese romantische Klippe von dem
Dorfe Glöckelberg aus, das vormals zur unmittelbaren Familienlandschaft Stifters
gehörte, jetzt aber verlassen in Trümmern liegt. Ich war einst dort eingebürgert; es
war also – wenigstens für eine Reihe von Jahren – auch mein Heimatdorf; aber je mehr
mich das äussere Leben von dort entfernte, je mehr das Dorf als Opfer arger Zeitläufte
verfiel, um so entschiedener bestand es weiter in meinen Schriften….
Im Laufe einer
längeren Lebensspanne haben mir viele Panoramen den Atem vor Glück benommen, etwa die
Aussicht vom Monte Pincio über Rom, die vom Lykabettos über Athen, über die
Wasserspeier von Notre-Dame hinab auf Paris, die beseligende Sicht von den Höhen unweit
Kapernaums über den See Genezareth, oder von den Klippen an der Küste des Stillen Ozeans
in die abweisende Endlosigkeit der Gewässer, hiter denen irgendwo zeitlose Inseln
schweben und irgendwann Asien sich dehnt. Aber so berauschend auch der Blick vom
Poseidontempel auf Kap Sunion in die Kobaltabgründe der homerischen Fluten gewesen sein
mochte oder der vom Cap d´Antibes in die unbewegliche "bleuté immense de la
Méditerranée", keine von all diesen grandiosen Visten - auch nicht die vom
sorrentinischen Kap über den Golf zum Vesuv hinüber, bei der man ein Jubelgeschrei nur
mühsam unterdrückt, keine würde ich eintauschen gegen die schlichte, liebende und
umarmende Aussicht von dem zackigen Böhmerwaldfelsen, auf dem ich zuletzt 1937 sass, im
Frühherbst, an einem schrägbesonnten Nachmittag, allein, mitten in dem schweren Duft der
Bäume und der Heiden, den schwirrenden Fragelauten der Insekten, dem Streicheln der Luft
und inmitten der unsäglichen Trauer des Abschieds, die fragte: Wird mir dieses Schauen
jemals wieder gegeben sein?"
Auswahlbibliographie von Johannes
Urzidil:
Sturz der Verdammten, 1919
Die Stimme, 1930
Goethe in Böhmen, 1932 (1962)
Der Trauermantel, 1945
Die verlorene Geliebte, 1956
Die Memnonsäule, 1957
Prager Triptychon, 1960
Über das Dichten, 1961
Das Elefantenblatt, 1962 |