Woher das ganze Schrifttum
kam Zum ersten Autor Südböhmens, dessen geistiges Gesicht uns nicht verhüllt
blieb, wurde - wie symbolisch - ein Priester, der erste Abt des Prämonstratenserklosters
in Milevsko, Jarloch. Er war wahrscheinlich ein Verwandter des Klostergründers,
Jiří von Milevsko, und so können wir seine Wurzeln im südböhmischen Boden suchen.
Seine Bildung gewann er an zwei Orten, in einer der Klosterschulen in der Umgebung der
südbayerischen Stadt Würzburg und dann in einer fast südböhmischen Lokalität - im
Prämonstratenserkloster in želiv. Einen bedeutenden Impuls für Jarlochs literarische
Tätigkeit stellte das Studium der Vincentius-Chronik dar, die er für die
Klosterbibliothek in Milevsko abschreiben ließ. Er entschied sich, die Arbeit an dem Werk
fortzusetzen.
Hätte es aber
eine wichtige schicksalhafte Tatsache nicht gegeben, wäre die Jarloch-Chronik nur ein
Glied in der Kette der gewöhnlichen Klosterchroniken geblieben, nur ein Glossar der
zeitgenössischen politischen Entwicklung, das nach dem damals üblichen Annalenschema
aufgebaut gewesen wäre. Das wichtige, das Jarlochs Schreiben zur wirklichen Literatur
erhob, war das Treffen mit Gotšalk, dem Abt von želiv. Gerade seine hagiographisch
behandelte Biographie wurde zum Werk, das bis heute als „dichterisch“ bezeichnet
werden kann.
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Die
Klosterbibliothek von Vyšší Brod/Hohenfurt wurde auf der Handschriftensammlung
aufgebaut, die die ersten hiesigen Mönche aus ihrem Mutterkloster im österreichischen
Wilhering brachten. Thematisch handelte es sich um eine relativ bunte Sammlung, die
liturgische Kodexe, patristische Literatur, Ordensregeln und auch astronomische,
naturwissenschaftliche und architektonische Werke beinhaltete.
Seit der Zeit
Karls IV. wurden unter dem Einfluß der Rosenberger in den Klosterkonvent auch
tschechischsprachige Mitglieder angenommen. Einer der wichtigsten tschechischen Schreiber
des hiesigen Scriptoriums war Přibík (auch Przibisco oder Przybislaus
geschrieben, 50er Jahre des 14. Jahrhunderts - ca. 1426), der aus der Ritterfamilie
Doudlebský von Doudleby stammte. Für seinen Arbeitsstil war typisch, daß er in
überwiegend lateinische Kodexe unterschiedlich umfangreiche tschechische Passagen,
Abschriften und eigene Bemerkungen hinzufügte. Deshalb blieb uns „Otep myrry“
erhalten, „die schönste alttschechiche Musikkomposition“ (Arne Novák), wo
Liebes- und Geisteslyrik verschmelzen. Motive aus Salomos Hohenlied werden hier bis an die
höchste Sprachengrenze verfeinert und in einen Mädchenmund gelegt. Die Komposition
befindet sich in der musikologisch und literarisch interessantesten Handschrift von
Vyšší Brod/Hohenfurt (Nr. 42), die die meisten mehrstimmigen Lieder der
zeitgenössischen tschechischen Provenienz beinhaltet. Přibíks umfangreichster
Handschriftenkodex, die lateinische „Summa sacramentorum“ (1411), die von dem damals
sehr beliebten, dem Abt von Zbraslav Havel zugeschriebenen Werk „Malogranatum“
inspiriert wurde, besteht aus kurzen theologischen Abhandlungen in Form eines Dialogs
zwischen Vater und Sohn.
Das Manualbuch
aus Vyšší Brod/Hohenfurt (Nr. 49) beinhaltet eine umfangreiche und inhaltlich sehr
bunte Sammlung von Exzerpten, Blättern und verschiedenen anderen Materialien, die (für
die Jahre 1413-1418) durch die Persönlichkeit des Priors von Vyšší Brod/Hohenfurt, Johann
Staicz (+1419), vereinigt wird. Ohne daß es der Autor so vorhatte, wurde sie zu einem
der ersten Belege des literarischen Genres, das man in Zukunft „Tagebuchliteratur“
nennen wird. In der Handschrift finden wir auch kürzere Ergänzungen einiger Personen,
unter anderem auch von Pater Mikuláš, der Prior des Dominikanerklosters in České
Budějovice/Budweis.
In die Zeit der
Erholung vom hussitischen kulturellen Verfall, d.h. in das letzte Viertel des
15. Jahrhunderts, kann man auch die Sammlung deutscher Geisteslieder „Ein Rueff
von dem englischen Gruss“ von einem unbekannten fahrenden Sänger einreihen (seit
dem 19. Jahrhundert meistens „Das Hohenfurther Liederbuch eines fahrenden
Gesellen“ genannt). Außer der Textqualität fallen vor allem allegorische
Federzeichnungen von hohem kulturell-künstlerischem Wert auf, die wahrscheinlich vom
Autor der Lieder stammen. Sie belegen authentisch, daß freie fahrende Sänger, Nachkommen
früherer Minnesänger, die von der damaligen Gesellschaft meistens verstoßen wurden,
noch in der spätmittelalterlichen Zeit des Abtes Thomas Hachenfurther durch Europa
wanderten.
Eine
beträchtliche Erweiterung der Handschriften- und Inkunabelnsammlung fällt in die
Amtszeit des kunstliebenden Abts Kryštof Knoll (1507-1528).
Unter der
Leitung vom Abt Quirin Mickl (*1711, Abt von Vyšší Brod/Hohenfurt 1747-1767)
wurde die Bibliothek von Vyšší Brod/Hohenfurt zum letzten mal gründlich umorganisiert,
damit sie möglichst universal das ganze zeitgenössische Wissen umfaßt. Für mehrere
Zehntausend Bände führte man den prächtigen Umbau der Bibliothekssäle durch. Mickl
selbst war ein sehr fruchtbarer Schriftsteller. Seinen Namen finden wir nicht nur auf den
Titelblättern mehrerer Dutzend Fachschriften (vor allem mit theologischer,
moralistischer, bibliographischer und kirchlich-rechtlicher Thematik), sondern auch
lateinischer Gedichte, Tragödien und Komödien. Außer von den christlichen Themen, die mit seinem Kirchenamt im
Einklang standen (z.B. das panegyrische Werk „De Nativitate Christi“), ließ er sich
von einer breiten Palette von Anregungen beeinflussen, z.B. von den Entdeckungs- und
Missionsreisen Christoph Kolumbus’ (episches Gedicht „Plus ultra“), von antiken
Geschichten mit heidnischen Helden und Göttern (das mehrbändige Werk „Bucolicorum seu
Euterpe“, das Drama „Romulus und Remus), von der alten böhmischen Geschichte (das
Drama „Jaromirus, Dux Bohemiae“) und sogar von der Geschichte des
europäisch-asiatischen Ostens (die Dramen „Tradoedia Bajazethus, secundus Turcarum
Imperator“, „Petrus Alexiewitz, Magnus Czar Moskowiae“).
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Obwohl im
Kloster in Zlatá Koruna/Goldenkron kein stabileres Scriptorium entstand, enthielt die
Bibliothek am Ende des 13. Jahrhunderts mindestens 45 Handschriften. Und ihre
Qualität wuchs ständig. Spuren des Eigentums von Zlatá Koruna zeigen z.B. Breviere
aus dem 14. Jahrhundert, die eine literarisch-dramatische Darstellung der
Passionsgeschichte anbieten. Als Beweis der Rezeption geistiger Strömungen vom Ende des
14. Jahrhunderts kann ein Beleg über den Besitz der polemischen Schrift von Matouš
von Krakov, der nominalistische Meister der Prager Universität, dienen, der ins
tschechische Milieu z.B. mystische Werke der heiligen Birgitta einführte. Wichtig ist
auch die deutsch geschriebene Fachprosa, die mit der „goldenen Ära der
Klosterbibliothek“ (Jindřich Špinar) an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert
verbunden ist. Noch bevor hier die Hussiten anfingen, die Ordensbrüder an den Bäume zu
erhängen, hatte der Konvers Wigand von Grevenstein es geschafft, einige
mehrbändige Konvolute homiletischer Literatur zusammenzustellen und sie mit
außerordentlichen Illuminierungen zu verzieren.
Nach der
geistigen Krise des 15.-16. Jahrhunderts wird aus dem Kloster allmählich wieder ein
Kulturzentrum. In den 60er Jahren des 17. Jahrhunderts schreibt „der
gelehrteste und edelmütigste der Konventualen“ Pavel
Augustin Stohandl die Klostergeschichte, und die Regierung tritt der
überdurchschnittlich kulturliebende Abt Matěj Aleš Ungar (1668-1701) an. Aus dem Jahre
1681 stammt auch eine Sammlung von tschechischen Exempeln, d.h. von kürzeren, bei
Predigten benutzten Geschichten, von dem Ordensbruder aus Zlatá Koruna/Goldenkron Konstantin
Bedřich Levý. Obwohl sie nie gedruckt wurden, bleiben sie durch ihre
Lebensfähigkeit und Pointierkunst bis heute für die Leser anziehend. Im 18. Jahrhundert
wurde das homiletische Genre von hiesigen deutschsprachigen Predigern gepflegt (ihr
Schaffen belegen die der Forschung nur sporadisch genützten handschriftlichen Sammlungen
der Texte von Dominik Lebitsch, Georgius Holler, Nivard Andraschko, Johann Lagler und
mancher weiterer Zisterzienser, die sowohl im Mutterkloster als auch in Kirchen der
heimischen Region tätig waren (Gojau, Kalsching, Tschernitz, Stein im Böhmerwalde).Unter
der Regierung des aufgeklärten Abtes Gottfried Bylanský (1755-1785), einer Persönlichkeit mit einer großen ethischen Kraft und einem
tief gehenden geistlichen Leben (dies belegen fragmentarisch überlieferte komplentative
Betrachtungen, die er als „Tagebuch“ niedergeschrieb), konzentrierten sich die
kulturellen Aktivitäten auf pädagogische Ziele und wurden teilweise in den nahen
Wallfahrtsort Kájov/Gojau übertragen.
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Die
Augustiner-Chorherrn waren ein Orden, der die Bücher- und Bildungspflege direkt in ihren
Statuten verankert hatte. Ihr Konvent in Třeboň/Wittingau bekam den Kern ihrer
umfangreichen Bibliothek von den Rosenberger Stiftern. Schon im Jahre 1386 hatte dieses
„junge“ Kloster mehr als 180 Handschriften, worunter sich auch die Produktion des
eigenen Scriptoriums (die Schreiber Duchek, Stephan und Johann) befand. Den Ruf als
Bildungszentrum behielt der Konvent in Třeboň/Wittingau auch in der nachhussitischen
Zeit. An der Erweiterung der Bibliothek machten sich die Meister Václav und Benedikt, Jan
von Dačice, Václav von Třešť, Jiří von Jemnice und Oldřich Kříž von Telč
verdient. |