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Fischrufe über dem rötlichen Moorgebiet

František Daniel Merth und Věroslav Mertl

Die Zeit des eingeschworenen Atheismus verwandelte sich langsam in eine farblose Gleichgültigkeit, die zwei ganz unterschiedliche und trotzdem komplementäre Schicksale zweier Christen hervorbrachte, denen dichterisches Talent in die Wiege gelegt war. Dem einen im Hinblick auf Poesie, dem anderen auf Prosa.

F.D. Merth, ein Priester - Dichter - Intelektueller, der am 30. August 1948 sogar in einem Beichtstuhl verhaftet wurde. Es folgten ein inszenierter Prozeß und Strafarbeit in Urangruben. Danach kamen ein Publikations- und Priesteramtverbot, Schleiferei von Glaslinsen und Arbeit mit Geistigbehinderten. Nach dem Jahre 1970 wurde ihm gnädig erlaubt, zum Priestertum zurückzukehren, er wurde aber möglichst weit abgeschoben: in eine halbverfallene Pfarrei im Wallfahrtsort Strašín nicht weit von Sušice. In dieser Isolation kommt der Höhepunkt seines Schaffens. „Merth ist ein Dichter - Einzelgänger, und man hat das Gefühl, als ob die Sprache fast Luft seiner Einsamkeit wäre...Er wiegt jedes Wort, verachtet den religiösen Ornamentalismus und pathetisch gezeigte Religiosität tief.“ (Jaroslav Med) Die Poesie und Meditation verflechten sich hier zu einer Form. Obwohl Merth mit der Politik nicht viel zu tun hatte, durfte er außer zwei kurzen Unterbrechungen in den Jahre 1947 und 1970 erst nach Vollendung seines 74 Lebensjahres publizieren.

„Ich erinnere mich an eine Dame, die mir sagte: Vater Merth, wenn er eine Messe feiert, als ob er schon im Himmel wäre...Ich wurde von der Schönheit seines Buches [„Ne krví býků“] bezaubert; ich las vorher nie etwas Ähnliches. Seine Poesie ist geschlossen, ohne einen einzigen Seitentratsch, mit Auslassen von Adjektiven und Anhäufung von Substantiven, alles ganz ohne Abfall, und dazu noch wunderschön.

Ivan Diviš, 1995

Věroslav Mertl war am Ende der 60er Jahre Redakteur des Budweiser Verlags Růže und später Sekretär im Asyl der Volkspartei, die Mitglied der Nationalen Front war. Er durfte zwar nur irgendwo am Rande überleben, seine Bücher erschienen aber die ganzen 70er und 80er Jahre. Wie war das möglich? Wahrscheinlich auch deswegen, weil er bereit war, in den Text einige Formulierungen einzugliedern, die ziemlich gegensätzlich interpretiert werden konnten und die die Druckaufsicht in die „positiven“ Schubladen stecken konnte. Was sollen wir aber heute damit machen? Wesentlicher ist, daß Mertl „mit einer samtenen, flotten, biegsamen und kompliziert einfachen, oder besser mit einer selbstverständlichen und erhebenden“ (Bedřich Fučík) Sprache zum Kern der alltäglichen moralischen Knoten durchdringen und sie, sozusagen nebenbei, auf das Gewölbe der Ewigkeit projizieren kann.

Am überzeugendsten zeigte er diese Meisterschaft in seinem ersten Roman „Dům mezi větrem a řekou“ (erschien 1978). Und das auch obwohl hier der Bürgermeister der Vorkriegszeit als verkörpertes Böses dargestellt wird, dagegen ist der Neue zwar ein beschränkter Mensch, der aber trotzdem ein gutes Herz hat. Obwohl man hier über die Emigration (die russische vor dem Krieg und später auch die tschechische) wie über eine Torheit spricht, und obwohl sogar ein Stottern über die „Geburtswehen“ der 50er Jahre in dem Plan der Hauptperson an einer Stelle erscheint. Das Wesentliche besteht nämlich in etwas ganz Anderem: im Stil, in der Form der Prosa. Dem Leser wird hier nicht suggeriert, daß alles, was gesagt wird, Wahrheit ist. Es werden eher seine oft tragisch erstarrten Gefühle aus der Tiefe hervorgerufen. Man läßt sein eigenes „inneres Flüstern“ sprechen. Eine reiche Metaphorik arbeitet der Autor hier in den Text so geschickt ein, daß es scheint, als ob an ihrer Stelle eine Ewigkeit stehen würde.

Bedřich Fučík, ein sich auf die spirituellen Richtungen in der modernen tschechischen Literatur spezialisierender Kritiker, wußte genau, warum er mit dem Namen Mertls gleichzeitig auch die Namen von Jan Čep oder František Hrubín nannte. Mit einer viel kleineren Befugnis nannte er damals auch den katholischen Stürmer und Dränger Jakub Deml. Auf dessen Platz wäre es besser, Karel Čapek (schlimmstenfalls) oder Michail Bulgakov (bestenfalls) zu setzen.

Merth und Mertl, zwei unterschiedliche, fast diametrale Variationen der Selbstrettung durch das Schreiben. Keiner von ihnen gehörte und gehört zu dem frühen „literarischen Geschehen“. Merth deswegen, weil er ein Mystiker war, der, obwohl er will, nicht kann. Mertl deswegen, weil man ihn in den Geist der offiziellen zeitgenössischen Literatur nicht einreihen kann und die „Dissidenten“ ihn ostentativ ignorieren. Zwei schöpferische Einsamkeiten, die von der Umgebung in die Einsamkeit der Nacht gejagt wurden, und die Hunderte von Briefen wechselten. Eine durch das Schicksal entstandene Geistesverwandtschaft.

Eine Auswalhbibliographie von Věroslav Mertl:
Stín blaženosti, 1969
Nám po tomto putování, 1970
Dům mezi větrem a řekou, 1978
Podzimní svit, 1984
Pád jasnovidce, 1986
Mlčení věžních hodin, 1989
Kruhy pod očima, 1995
Zjasněná noc, 1995
Tiché zahrady, 1998
Hřbitov snů, 2000

Auswahblibliographie von Franišek Daniel Merth:
Refrigerium, 1947
Orančina píseň, 1970
Zápisy z prodlení u kříže, 1991
Ne krví býků, 1992
Zápisy, 1992
Sedm písní, 1994
Horský triptych, 1994
Malé hóry, 1995

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