DiskussionDiskussion
Böhmerwald katholisch oder Auf dem Weg nach Wien und Maria Zell

Richard von Kralik

Er studierte, schrieb und starb zum Schluß auch in Wien. Er wurde aber im Böhmerwald geboren, in der traditionellen Familie Kralik von Meyrswalden, der die Glashütten in Lenora/Eleonorenhein gehörten. Der Dichter, Prosaiker, Dramatiker, Essayist und Kulturphilosoph, der als Vertreter des integralen Katholizismus der Marke „Gralbund“ charakterisiert wird, war ein überzeugter und überzeugender Anhänger der österreichischen Staatsidee, einer vernünftigen Vision der Europa stabilisierenden Donaumonarchie. Ihr Machtzentrum war zwar Wien, das Glaubens- und Gefühlszentrum war aber die Marienkirche in Maria Zell und damit auch das Netz aller Wallfahrtsorte der (damals noch) untrennbaren österreichischen und böhmischen Länder. Außer den religiösen Mysterien widmete er sich auch einem so unintellektuellen Hobby wie dem Puppenspiel. Und wahrscheinlich auch deswegen verlor er nie die alte Beziehung zu Bergen, Wäldern, Seen und heiligen Stätten seiner Heimatlandschaft.

„Meine Eltern verbrachten die ersten fünf Jahre ihrer Ehe in Eleonorenhain, in dem weitläufigen „Herrenhause“ des Fabriksortes, wo ich als erster Sprößling zur Welt kam. Das Haus bestand nur aus ebenerdigen Zimmern, die um einen kleinen Wiesenhof im Quadrat angelegt waren, von diesem durch einen umlaufenden Glasgang getrennt, alles ganz heimlich-unheimlich. Ich sehe mich dort als Kind im größeren Hof vor diesem Haus, in den Pferde- und Kuhställen auf der anderen Seite des Hofes, ebenso auch in den langen Zimmerfluren, dann in der Küche bei der märchenerzählenden Köchin, im naiv phantastisch angelegten Garten hinter und unter dem Haus, mit seinen Terrasen, - eine Märchenwelt im Kleinen, voll von Gegensätzen, mit Rosenlauben, überreichen Blumenbeeten, Obstbäumen und Beerensträuchern, Erdbeerpflanzungen und Schneckenhäuschen. ...

Aber am gewaltigsten ist der Eindruck des Urwaldes, der uns fast unmittelbar umgibt und auf der einen Seite zum Kubany, auf der anderen zum Dreisesselberg auf granitenem Rücken ernst und machtvoll emporsteigt. Ich sehe mich von seinen dunklen Schauern umfangen oder ihn über der sonnigen Matte düster lagen. Alle Wege sind von ihm umgeben. Das ganze Leben ist mit ihm verbunden. Hier liegt das geschlagene Holz, aufgeschichtet in mächtigen Klötzen für die Glasöfen. Von den Jagdtrophäen des Waldes sind alle Zimmer und Gänge des Hauses überfüllt. Den tiefsten Eindruck hinterlassen die Gewitter. Bei einem derselben wird eine holzsammelnde Frau vom Blitz getroffen, und ich sehe sie zu Grabe geleiten, gefolgt von meinem Vater, den älteren Brüdern und allen Beamten und Arbeitern in breitem, feierlichem Zug. – Ja, diesem Wald verdanke ich die Grundstimmung meines Lebens, mir ist noch jetzt, als ob ich nirgend anderswo meine Heimat hätte als im Wald. ...

Und nicht zu vergessen die deutschen Märchen, die mir unsere Köchin erzählte. Ich fand diese Märchen später wohl fast alle bei Grimm, aber ich war enttäuscht von der nüchternen, fragmentarischen Form mancher Buchmärchen im Vergleich zur vollen, reichen, in allen Einzelheiten blühenden Überlieferung des Volkes, an der ich damals selbst teilnehmen durfte. Es war ein großes, hohes Leben dort im Wald, ein Leben, dem gegenüber alles andere seitdem mir kaum ein Leben mehr erscheint. ...

Mein Vater fand seine Lust in dreierlei Betätigung. Seine erste Leidenschaft war sein Geschäft. Durch seine chemischen Kenntnisse hat er manche verlorenen oder vergessenen Geheimnisse wieder entdeckt oder neue gefunden und gelöst, besonders was die Reinheit und Färbung des Glases betraf. Das alles wurde, wie überhaupt das Zuwägen der Stoffe zum rechten Glasfluß, sehr geheim vom Vater und seinen älteren Söhnen in verschlossener Kammer vor einem einzigen eingeschworenen Schaffer betrieben. Um das blutrote Rubinglas herzustellen, wurden Goldstücke zerhackt und in die glühflüssige Masse getan, oder das Gold wurde zur Vergoldung der kunstvollsten Prunkgefäße zerrieben und aufgelöst. Gerne sah ich dem alchymistischen Zauber zu.

Des Vaters zweite Leidenschaft war die Jagd. Oft war das Haus voll von Jagdgästen. Jedermann war hier Jäger, jeder hatte sein Jagdgewehr; man ging fast alle Tage aus der rauchigen Glashütte in den frischen Wald hinaus und ließ es knallen. Die Sicherheit des Auges und der Hand wurde im Schützenhaus geübt. Es war eine Leidenschaft, an der alle, bis zum Arbeiter, zum Glasbläser teilnahmen. Denn so ein geschickter Glasmacher war ein wohlgestellter Herr, der sich jedem ebenbürtig fühlte.

Die dritte und größte Leidenschaft dieser Glasmacherleute aber war die Musik. Auch die Lehrer, die Pfarrer, die Beamten geigten mit gleicher Lust. Abende, Nächte lang wurden Quartette der Klassiker und ihrer Nachfolger gespielt. Wenn dann ein Quartett ganz korrekt ging, meinten die braven Leute, das könnten die Virtuosen in Wien, Prag und Paris auch nicht besser, denn sie könnten doch nicht mehr tun, als die rechten Noten herunterzuspielen. ... Man war, abenso, wie auf dem Gebiet der Gefäßformen, durchaus klassizistisch gessint. Noch heute sind mir die Klavier-Violinsonaten Beethovens unvergeßlich in der Art, wie Vater und Mutter sie zusammen spielten. Das war in seiner poetischen Weise unübertrefflich. ...

Als ich etwa vier Jahre alt war, sorgten meine Eltern, es möchte das fortgesetzte Schlaraffenleben im Wald für meine und meiner zwei jüngeren Brüder Erziehung auf die Dauer unvorteilhaft werden, und man beschloß, eine größere Stadt aufzusuchen, die gute Schulen hätte. Die Wahl fiel auf Linz, die Hauptstadt Oberösterreichs. Sie war zu Wagen in zwei halben Tagen, mit unterlegten Pferden also auch in einem Tag zu erreichen. Es blieb so ein vorgeschobener Posten des Böhmerwaldes. Jeden Sommer konnte man dahin zu langem Ferienaufenthalt zurückkehren.“

Richard von Kralik: Tage und Werke, 1922

Auswahlbibliographie von Richard Kralik:
Büchlein der Unweisheit, 1884
Gedichte, 1885
Sprüche und Gesänge, 1893
Mysterium vom Leben und Leiden des Herrn, 1896
Das deutsche Götter- und Heldenbuch I-VI, 1900-1904
Kulturstudium, 1906
Der heilige Gral, 1906
Sage vom Gral, 1907
Tage und Werke I-II, 1922, 1927
Münchhausen, 1930

Diskussion - Übersicht
1x1.gif (43 bytes)