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>>Trauer, du betäubender Irrtum...<< oder Vom Fluß bis zum Teich und zurück

František Hrubín

Für Hrubíns schöpferisches Leben waren drei Orte von großer Bedeutung: Lešany im Gebiet um den Fluß Sázava, das voll von allem war, was Land und Fluß anbieten können. Prag mit seinen Cafés, mit Dichterfreunden, den französischen verdammten, mit Alkohol und geliebten Kindern und zuletzt sein Sommerhaus in Chlum bei Třeboň, im kleinen Maria Zell nicht weit vom Teich Hejtman.

Im Jahre 1942 wurde das Gebiet um Lešany von der deutschen Armee geräumt, und Hrubíns Landschaft zog von der irdischen Realität in die Realität der Erinnerungen. Die Augenlider „des stillen Ekstatikers, der sieht, was den anderen entgeht.“ (F.X. Šalda) werden schwerer, und alles, was in ihm seit den 30er Jahren leise gewachsen ist, tritt hervor. Bitteres und schweres „Wissen“ verdrosselt das Lied und verdrängt die Zerbrechlichkeit der „Sichtweise“ der ersten Sammlungen von Hrubín. In den 15 Jahren 1940-1955 sehnt sich ihr Autor oft danach, „zu suchen und zu sehen“, er „findet und weiß“ aber immer nur. Wenn hier noch am Anfang der 40er Jahre „die Erde durch das Schilf von Lichtern fließt“, rennt sie einige Jahre später durch Leere, „die sich kosmisch ausdehnt“. In die Dunkelheit starrende Augen sehen nicht, und das war für einen Dichter immer eines der schwierigsten Schicksale. Hrubíns geistiges Gleichgewicht konnte damals nur eines schützen, und zwar die Kinderpoesie.

Nach Südböhmen fing er an, seit der Mitte der 50er Jahre zu fahren. Zuerst scheint es, als ob die hiesige statische Landschaftsszenerie auch die letzten Überreste des ursprünglichen, leicht flüchtigen Fluidums von Hrubíns frühen Versen erstickte. Offizielle Kritik lobt die Sammlungen „Můj zpěv“ (1956) und „Až do konce lásky“ (1961), sie ahnt aber nicht, das diese „Teichwerdung“ von Hrubíns Poesie einen Wendepunkt bedeutet. Der Geist weht, wohin er will. Warum denn auch nicht über den „ruhigen und klaren“ Gewässern der Teiche? Wie kann man sich sonst erklären, das gerade damals und hier die erstarrte und vollkommen geschliffene Schönheit des Gefundenen anfängt, schneller zu atmen? Zuerst aus kleinen, haardünnen Spalten, später aus voller Kehle. Die Erinnerungsbücher „U stolu“ (1958) und „Lásky“ (1967) gehören dank ihrer Zerbrechlichkeit zu dem Schönsten, was die tschechische Memoirenliteratur anbieten kann. Als ob Hrubín von seinen Wurzeln wiedergeboren worden wäre, hoch über der ganzen zeitgenössischen Literatur kreisen „Romance pro křídlovku“ (1962) und „Zlatá reneta“ (1964), er überrascht auch mit seinem Sinn für Drama („Srpnová neděle“, 1958; „Křišťálová noc“, 1961; „Odlřich a Božena“, 1969). Die dramatische Erfahrung krönt er mit der Rückkehr zu seinem heimischen Genre, mit der nicht zu übertreffenden Weihnachtsballade „Lešanské jesličky“ (1970). Am südböhmischen Horizont flimmert damals ein Raum für das absolute Gedicht. Leider nur kurz, denn Hrubín stirbt Anfang Frühling 1971 im Krankenhaus in České Budějovice/Budweis.

„Der Dichter František Hrubín führt uns durch unser ganzes Leben. Zuerst spielt er mit uns in „Špalíček pohádek“. Da treffen wir Květuška in ihrem Garten, ein Kücken und Getreide oder der Däumling und seine Freunde. Dort fühlen wir uns gut. Dann erhellt er über uns Augustnächte, läßt Terina in einem Wagen mit Gardinen wegfahren und gut riechenden Dill auf dem Grab eines dörflichen Friedhofes wachsen. Dort erkennen wir, was das bedeutet, >>wahnsinnig lebend<< zu sein.

Endlich läßt er uns, uns mit einem langen Blick den Horizont mit einer >>niedrigen Stufe<< der Hügel in der Weite anzusehen, mit Ufern, wo die reichen Erlen ihre Kronen schütteln, und mit blauen Wasserspiegeln. Dann trifft er unser Herz mit dem Vers >>Ich verlasse einmal alles, du Trauer, du betäubender Irrtum<<. Das ist der abschließende Ton Hrubíns Verse. Er schuf sie in Südböhmen.“

Dagmar Blümlová, 2000

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